Impulse für die Bewusstseinsforschung

DSCN3222Die Naturwissenschaft begann (bei Aristoteles) mit der Erforschung dessen was wir (in der Welt) wahrnehmen. Ausgeklammert hat sie dabei das Subjekt oder die Wahrnehmung selbst. Im 17. Jahrhundert traf Descartes die ganz klare Unterscheidung zwischen der res extensa (den ausgedehnten Objekten) und der res cogitans (des Wahrnehmenden), das gar kein Gegenstand (res) sein kann, sondern das Wahrnehmen selbst betrifft. Die (klassische) Physik erforschte die Welt der Objekte unter Ausschluss des Subjektiven, der Wahrnehmung, und war damit erstaunlich erfolgreich.

Aus der Erfahrung wissen wir, dass die Wahrnehmung subjektiv ist, genauer dass sie subjektive Elemente (philosophisch: Qualia) enthält. Das heißt aber, dass die Naturwissenschaft nicht die Welt erforscht, die wir erleben – sondern quasi nur die Leinwand, auf die wir projizieren: die Schattenwelt in Platons Höhlengleichnis. So wie es in diesem Gleichnis zwar um eine Unterscheidung, aber in einer Welt geht, so näherte sich die Physik Anfang des 20. Jahrhunderts jenem subtilen Bereich, in dem das Subjektive nicht mehr außen vor zu halten ist. Die Quantenphysik kann ihre Phänomene nicht mehr beschreiben, ohne den Messapparat einzubeziehen. Es gibt keine Welt mehr unabhängig von der Messung.

Das „Subjektive“ ist vorerst „nur“ die Messapparatur, und daher ist es voreilig, von den Quanten gleich auf das Bewusstsein zu schließen, wie das Esoteriker gerne tun. Aber es geht natürlich in diese Richtung, auch wenn die Gleichung „Quanten = Bewusstsein“ bloß ein mentaler Kurzschluss ist. Zunächst ist etwas anderes interessant: Auch die Wahrnehmung ist immer eine Art Messung! Daher passiert in unserer Lebenswelt genau dasselbe wie in der Quantenphysik: die Wahrnehmung (= Messung) verändert das Wahrgenommene. In der Physik wie im Leben geht es nicht darum, eine abstrakte objektive Welt zu beschreiben oder zu sehen, sondern um unsere Wahrnehmung, unser Sehen der Welt.

Das Problem der Hirnforschung
Die Physik kam nahe an diese Tatsache heran. In der Psychologie (C.G. Jung) geht es genau darum, und auch die moderne Hirnforschung sieht langsam ein, dass sie nicht mehr wie im 19. Jahrhundert denken und forschen kann. Die Hoffnung, das Bewusstsein in den Neuronen des Gehirns zu finden, musste aufgegeben werden. Es gibt anscheinend keinen Ort, der Bewusstsein hervorbringen kann. Weil aber der Mainstream der Hirnforschung weiterhin auf dem alten Dogma beharrt, gibt es auch (noch?) keine Theorie des Bewusstseins (1).

Wolf Singer: „Die Intuition legt nahe, dass es irgendwo im Gehirn ein Zentrum gibt, in dem alle Informationen zusammengefasst werden, wo Entscheidungen fallen, wo Bewusstsein entsteht und das agierende, bewertende, entscheidende Ich sich konstituiert.“ Allerdings: „Wenn man in die Gehirne hineinschaut und sich die Organisationsprinzipien anschaut, dann findet man diesen Ort nicht.

Das Problem der Hirnforschung ist, dass sie das Innenleben erforschen will, aber genau dieses durch das Paradigma der Naturwissenschaft (des 19. Jahrhunderts) ausgeklammert wird. „Man könnte vielleicht sogar sagen, dass das, was ursprünglich eine interessante Fragestellung ist, durch die Operationalisierung in den Experimenten am Schluss einfach herausfällt.“ (Felix Hasler von der Berlin School of mind and brain der Humboldt-Universität die Statements). Was sich (objektiv) messen lässt ist nicht das, was ich (subjektiv) erlebe. Das gehört zwar untrennbar zusammen, aber es lässt sich nicht das eine auf das andere reduzieren.

Niemand existiert für sich – nichts ist isoliert
Aus psychologischer Sicht kommt noch hinzu, dass das Unbewusste auch eine Form des Bewusstseins ist, dass man letzteres auch nicht auf das Ich-Verständnis als einen zentralen Faktor reduzieren kann. Einer bewussten Entscheidung des Ich gehen subliminale Prozesse im Unbewussten voraus. Aus soziologischer Sicht kommt hinzu, dass man das Ich auch nicht unabhängig von anderen Ichs, die als Du erscheinen, trennen kann. Ein isoliertes Ich ist – wie wir seit Friedrich II. wissen – gar nicht lebensfähig. Und letztlich können wir uns auch nicht auf das Gehirn allein fokussieren, denn ohne Körper und ohne Umwelt ist auch das Hirn gar nicht lebensfähig, oder nur ein abstrakter Begriff (2).

Was ist der Mensch? Dieser Frage Immanuel Kants kann man nur in einem umfassenden Kontext näherkommen – der aber nicht im Aufgabenbereich der Naturwissenschaften liegt. Wir müssen ein Ganzes voraussetzen, aber den Naturwissenschaften (Physik, Biologie, Neurobiologie, Hirnforschung, Soziologie…) einzelne Bereiche zum detaillierten Erforschen überlassen. Dabei müssen wir auch rechnen, dass diese an ihren Grenzen nicht nur in andere Gebiete hineinreichen, sondern auch an das Ganze rühren. Was auch bedeutet, dass die Hirnforschung allein das Problem der Wahrnehmung nicht lösen wird, geschweige denn das des Bewusstseins.

Das Unbewusste und die Nicht-Lokalität
Wenn wir in der Physik inzwischen von Nicht-Lokalität reden, und in der Psychologie vom Unbewussten – also letztlich von Bereichen, die unanschaulich und nicht an Raum und Zeit gebunden sind, aber unserer Welt zugrunde liegen – so wäre es durchaus sinnvoll, auch in der Hirnforschung davon auszugehen, dass das Bewusstsein weder an Ort noch an Zeit gebunden ist, wie der niederländische Kardiologe Pim von Lommel nahelegt. Oder wie Hans-Peter Dürr formuliert, ist das wirklich Fundamentale nicht objekthaft, sondern Beziehung – „aber nicht Beziehung von etwas, sondern nur Beziehung“. Dies wiederum könnte bedeuten, dass die für das Bewusstsein elementaren Beziehungen und Verschaltungen nicht „objektiv“ durch Neuronen und deren Verschaltungen erfasst werden können, sondern diese immer in einen nicht-lokalen Bereich hineinreichen.

Wer sich (mindestens jahrelang) mit Quantenphysik beschäftigt, der weiß, dass unsere Sprache nicht geeignet ist, Quantenphänomene zu beschreiben. Wir müssen immer noch von Teilchen und Wellen reden, obwohl es sich im Fall von Quantenphänomenen nicht um klassische Teilchen und Wellen handelt. Aber wir haben nun mal keine anderen anschaulichen Begriffe dafür. Wer sich mit seiner Psyche beschäftigt oder sich sogar einer Psychotherapie unterzieht, der weiß wie schwierig es ist, über inneres Erleben zu reden. Die Sprache entwickelte sich, um über die elementaren Dinge „da draußen“ zu reden, mit Gefahren umzugehen usw., nicht aber um innere Empfindungen mitzuteilen.

Alles verändert alles
Das bildet sich auch im Gehirn ab (3): Das Sprachzentrum liegt von dem Areal, das für die Selbstwahrnehmung zuständig ist, so weit entfernt, wie es im Hirn nur möglich ist. Daher können wir andere meist besser beschreiben als uns selbst. Das erstere bildet unser autobiografisches System, das uns eine zusammenhängende Geschichte ermöglicht, die durch neue Erfahrungen, aber auch durch Erinnerungen ständig modifiziert wird. Es ist das Erleben im Zeitkontinuum. Das System der Selbstwahrnehmung ist mehr emotional, selbstbeobachtend und basiert auf Körperwahrnehmungen. Es erfasst die Selbstwahrnehmung im gegenwärtigen Augenblick.

Wie das Messen das Gemessene verändert (Quantenphysik), so verändert das Sehen das Wahrgenommene, aber auch die Selbstwahrnehmung. Selbst die Erinnerung verändert das Erinnerte ständig – und das nicht nur bewusst, sondern auch unbewusst und sogar im REM-Schlaf. Das schlafende Gehirn verändert Erinnerungen.

Damit ist z.B. der Satz „Das Messen verändert das Gemessene“ nicht bloß ein Satz der Quantenphysik, sondern ganz allgemein ein Satz einer neuen Weltsicht. Er bedeutet nämlich ganz allgemein, dass die Wechselwirkung zwischen Subjekt und Objekt beide – Objekt und Subjekt – verändert. Das bedeutet wiederum, dass Subjekt und Objekt nichts sind, das „festgestellt“ werden könnte, und dass das Entscheidende die Beziehung „dazwischen“ ist. Weiters bedeutet das den Ausstieg aus dem statischen Weltbild (der klassischen Physik und des mehrheitlichen Weltbildes unserer Zeit). Das Elementare ist die Dynamik. Alles verändert sich, wie schon Heraklit wusste.

Dynamik, Wandlung, Unschärfe
Nicht nur in der Physik des 20. Jahrhunderts ist die Dynamik der Beziehung das Elementare, auch in der zeitgleich entstandenen Analytischen Psychologie C.G. Jungs ist die Wandlung, die Individuation das zentrale Element. Der Mensch IST nicht, sondern er WIRD, er ist in Entwicklung. Etwas zu definieren nimmt dem Definierten (damit Begrenzten) die Dynamik – und auch die Unschärfe. Womit wir bei Heisenbergs Unbestimmtheitsrelation wären. Will ich klar definierte und begrenzte Objekte, geht die Dynamik verloren, will ich lebendige Dynamik, habe ich keine klar definierten Objekte. Genauer besehen hört auch kein Objekt an seiner „Außenfläche“ auf, sondern alles geht ineinander über, und ein „Objekt“ ist nichts oder abstrakt ohne seinen Kontext.

Wenn in der zitierten Diskussion über das Bewusstsein Wolf Singer eingesteht: „Meines Wissens hat bis jetzt niemand ein Areal im Gehirn gefunden, dem man zuschreiben könnte: Das sei der Sitz des Bewusstseins…“, und Felix Hasler dem beipflichten muss: „Ja, der gegenwärtige Stand der Hirnforschung in Bezug auf das Bewusstsein ist spärlich – so spärlich wie schon seit Jahrzehnten letztendlich“, dann liegt das vielleicht daran, dass nicht die Hirnforschung an sich in der Sackgasse ist, sondern das zugrunde liegende Weltbild, das dem des 19. Jahrhunderts entspricht.

Die Wissenschaft des 20. Jahrhunderts – zumindest die Quantenphysik und die Analytische Psychologie – weist ohnehin in eine ganz andere Richtung: Weg von einer Kartografie der Außenwelt mit Dingen und Objekten und hin zu einer Sicht, die das Elementare in der Wechselwirkung, Beziehung und der Dynamik sieht. Aber was hier so locker in einem Satz beschrieben wird, braucht eine Entwicklung von Jahren, wenn nicht Jahrzehnten oder Jahrhunderten. Bohr, Heisenberg, Pauli & Co auf der einen und C.G. Jung auf der anderen Seite begannen Anfang des 20. Jahrhunderts das mechanistische Weltbild des 19. Jahrhunderts auf den Kopf zu stellen – und bis heute ist das in der Gesellschaft kaum registriert worden…

© R.Harsieber

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  1. Die folgenden Zitate stammen aus einer Diskussion über das Thema „Was ist Bewusstsein?“: https://www.deutschlandfunkkultur.de/wissenschaft-was-ist-bewusstsein.976.de.html?dram%3Aarticle_id=294702&fbclid=IwAR0BC5LIPhQ3Eck8ZFYJnM5vCgQcGPLMtzRrr7U-0ktyvcNO8cVsA9uFRZI
  2. Scheurle, Hans Jürgen: Das Gehirn ist nicht einsam. Resonanzen zwischen Gehirn, Leib und Umwelt. Verlag W. Kohlhammer, 2. Aufl. 2016
  3. Siehe auch Bessel van der Kolk, Verkörperter Schrecken. Traumaspuren im Gehirn, Geist und Körper und wie man sie heilen kann. G.P. Probst Verlag, 6. Aufl. 2019, S 281 f.

Über Robert Harsieber

Philosoph, Wissenschaftsjournalist, Verleger (RHVerlag), Mitarbeit an verschiedenen Projekten. Philosophische Praxis: Oft geht es darum, Menschen dabei zu helfen, ihr eigenes Weltbild zu erkunden. Interesse: Welt- und Menschenbilder, insbesondere die Frage eines zeitgemäßen Welt- und Menschenbildes.
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