Es ist esoterische Mode geworden, das asiatische Karma, das buddhistische „Ursache und Wirkung“ nachzubeten, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was in Asien darunter verstanden wird.
Wir lesen „Ursache und Wirkung“ und denken automatisch an unser vertrautes Kausalgesetz. Dass hinter asiatischen Begriffen ein anderes Weltbild steht und eine einfache Übersetzung noch rein gar nichts zum Verständnis beiträgt, daran denkt kaum jemand. Unser Weltbild ist ein fragmentarisches pseudo-naturwissenschaftliches – auch wenn schon in der Sprache mehr steckt, aber das fällt uns gar nicht auf. Das asiatische ist kein naturwissenschaftliches Weltbild, sondern ein ganzheitliches, in dem z.B. unsere Trennung zwischen Psyche und Materie nicht bekannt ist.
Kein mechanisches, sondern ein psychisches Gesetz
C.G. Jung und Wolfgang Pauli haben sich auch mit der Gegensätzlichkeit und Komplementarität von Materie und Psyche beschäftigt, und was Jung als Synchronizität bezeichnete, kommt der asiatischen Auffassung von Ursache und Wirkung bedeutend näher. Daher lesen Asiaten unsere Kausalität mehr im Sinne der Synchronizität. Ihnen geht es ja viel mehr um sinnvolle Verbindungen, und nicht um abgespeckte mechanische Kausalität. Daher verstehen wir nicht, was Asiaten unter Ursache und Wirkung verstehen, und Asiaten verstehen gar nicht, was wir mit Kausalität meinen.
Wenn wir „Nirvana“ mit „Nichts“ übersetzen und ein logisches Nichts assoziieren, liegen wir auch völlig falsch. Dass es auch bei uns Mystiker gab, die vom Nichts sprachen und kein logisches Nichts damit meinten, ist längst vergessen. Das war vor der Naturwissenschaft. Wenn wir beim Karmagesetz daran denken, dass jedes Tun eine Wirkung auslöst, ist das nur bedingt richtig. Das Karmagesetz ist zwar das Gesetz von „Ursache und Wirkung“, aber nicht der mechanischen Kausalität, sondern es ist vielmehr ein psychisches Gesetz. Es hat nichts mit dem starren alttestamentarischen Aug um Auge zu tun. Jedes Tun löst etwas aus, das ist schon richtig, aber was es auslöst, kann sehr Verschiedenes sein. Zum Beispiel kann es sich auf verschiedenen Ebenen auswirken, es kann sich symbolisch auswirken. Und wenn eine Lektion gelernt ist, muss es sich gar nicht mehr auswirken, ist sozusagen gelöscht durch einen „höheren“ Zustand. Um den geht es nämlich, und nicht um ein mechanisches Gesetz.
Kausalität und Synchronizität
So wie wir Asiaten nicht verstehen, weil wir automatisch an Kausalität denken, so verstehen die Asiaten unsere Kausalität nicht, weil es dort gar keine Entsprechung dafür gibt. Eine Begebenheit, die Marie-Louise von Franz berichtet, illustriert das sehr gut : „Als ich einmal über Synchronizität und Kausalität am Jung-Institut eine Vorlesung hielt, kam ein Japaner plötzlich begeistert auf mich zu und sagte: ‚Jetzt verstehe ich, was Kausalität ist. Wenn ich über westliche Physik gelesen habe, meinte ich immer, das sei alles synchronistisch. Und jetzt, wo Sie sich so viel Mühe gegeben haben, das auseinanderzunehmen, konnte ich zum ersten Mal verstehen, was Kausalität ist.‘“
Östliches und westliches Denken sind so anders, dass wir einander gar nicht verstehen, wenn wir nur die Begriffe übersetzen. Wir brauchen eine genauere Erklärung und vor allem das dahinterstehende unterschiedliche Weltbild. Die Asiaten verstehen den materiellen Vorgang – den sie vom psychischen gar nicht trennen können – als synchronistische Spiegelung des Psychischen. Von Franz berichtet dazu auch von einer Geschichte aus der Tang-Zeit 2). Es geht um einen Vulkanausbruch. Erst entstand ein Kratersee und dann in dessen Mitte ein Vulkankegel. Die damalige Kaiserin, eine herrschsüchtige Frau, die ihren Gatten völlig entmachtet hatte, nannte ihn Glücksberg, Da schrieb ihr ein Untertane einen Brief, in dem er höflich darauf hinwies, dass die Erde gestört ist, wenn der Himmel gestört ist, und dass die menschliche Seele gestört ist, wenn die Erde gestört ist: „Eure Majestät haben sich in männlicher Art über das Weibliche erhoben. Ich würde Eurer Majestät raten, Reue und Umkehr zu üben, damit kein Unheil über das Reich kommt.“ Berg ist in China ein männliches Prinzip, der See ist weiblich. Der Berg über dem See wird mit der Situation im Kaiserhaus verbunden, denn das äußere Geschehen wird als Abbild des inneren Psychischen gesehen. In der Terminologie von C.G. Jung wäre das Synchronizität.
Denken aus dem Gesamtzusammenhang
Während wir im Westen fragen, was passiert, wenn wir etwas tun, fragen die Chinesen, warum etwas simultan passiert? Sie gehen immer von einem Gesamtsinn (Tao) aus. Die Natur ist für sie eine psychophysische Einheit. „Das chinesische Denken setzt voraus, dass die ganze Natur eine psychophysische Einheit ist oder einen einheitlichen Gesamtzusammenhang hat, der sich aber jeder auf Details konzentrierten Beobachtung entzieht.“ 3)
Das war übrigens in der Antike bis zu Plato auch so, daher interpretieren wir nicht nur asiatische Texte, sondern auch die Antike und vor allem Plato meist völlig falsch. Wir können Plato nicht verstehen, wenn wir in gewohnter Weise Natur, Seele, Geist, Ideen trennen, während das damals noch eine Einheit war.
1) Marie-Louise von Franz: „Psyche und Materie“, Daimon Verlag 2003, S. 25
2) Ebda S. 26
3) Ebda S. 36
Foto: RH
© R. Harsieber