Über Quantenkurzschlüsse und ein wirklich zeitgemäßes Weltbild

Dass heute mit Quanten alles „erklärt“ wird, was unerklärlich ist, daran haben wir uns schon beinahe gewöhnt. Dass auch Physiker sich solche mentalen Kurzschlüsse erlauben und Bewusstsein physikalisch erklären wollen, schmerzt besonders.

Nichtlokalität Mobiltelefon von München nach Paris telefonieren, dann funktioniert das nicht-lokal, es gibt keine „Wellen“ dazwischen. Wir leben damit, aber können es nicht erklären. Trotzdem ist das Physik und nicht Bewusstsein.

Ende des 19. Jahrhunderts glaubten Physiker, dass man jetzt nur noch die kleinsten Bausteine der Welt finden müsse, um die „Welt“ inklusive des menschlichen Gehirns erklären zu können. Gefunden hat man etwas ganz anderes, nämlich Elementarteilchen, die keine Teilchen sind, in einer Mikrowelt, in der eben die Gesetze der Quantenmechanik und nicht die der klassischen mechanistischen Physik gelten. Darauf ist auch unsere gewohnte „Welt“ aufgebaut. Allem liegt irgendwie diese Quantenwelt zugrunde. Aber genau aus diesem Grund hat ein Satz wie: „Gedanken sind Quanteninformation“ keinerlei Informationswert. Natürlich ist alles aus diesen Mikroereignissen aufgebaut, auch das menschliche Gehirn, aber Gedanken sind damit noch lange nicht erklärt. Was sich hier – laut oben genanntem Artikel – einige Physiker leisten, sind mentale Kurzschlüsse. Die an der Entwicklung der Quantenmechanik Anfang des 20. Jahrhunderts beteiligten Physiker waren nahezu allesamt auch Philosophen, und bei solchen Artikeln würde man sich wünschen, dass das heute auch noch so wäre.

Bohr, Heisenberg, Schrödinger, Pauli und wie sie alle heißen, beschreiben die Entwicklung einhellig so, als würde ihnen „der Boden unter den Füßen weggezogen“. Und sie zerbrachen sich den Kopf darüber, wie absurd die Welt ist, aber auch über ein Weltbild, das diese neueren Erkenntnisse einbeziehen könnte. Dass es ein solches zeitgemäßes Weltbild bis heute noch nicht gibt, ist eine andere Geschichte.

Statt Physik und Psychologie (Gedanken, Bewusstsein) miteinander zu vermengen (was nur geht, weil weder Quantenphysik noch Tiefenpsychologie in unserem „modernen“ Weltbild angekommen sind), sollten wir hellhörig werden und unser bisheriges Gewohnheitsdenken überdenken. Statt Quantenwelt und Bewusstsein/Gedanken in plumper Weise gleichzusetzen, könnten wir uns fragen, ob unser gewohntes Denken in isolierten Subjekten und Objekten wirklich geeignet ist, der Wirklichkeit nahezukommen. Und ob z.B. der Begriff der Nicht-Lokalität vielleicht besser geeignet wäre als unser gewohnt fragmentierendes Teilchendenken.

Allerdings dürften wir nicht – wie die zitierten Physiker – der ebenfalls gewohnten Versuchung der Simplifizierung erliegen. Es geht nicht darum, dass Gedanken Quantenphänomene sind, sondern dass hinter der scheinbaren „Objektivität“ so etwas sie Nicht-Lokalität steckt. Dass die Außenwelt nicht bloß objektiv und die (noch komplexere) Innenwelt nicht bloß subjektiv ist. Dann brauchen wir auch nicht alles auf (unsere bisherige Vorstellung von) Materie zu reduzieren, um einen künstlichen Monismus zu retten. Gedanken wären keine (physikalischen) Quanteneffekte, aber die „Welt“ als ganze müsste anders erklärt werden als wir das bis ins 19. Jahrhundert legitim und danach fatalerweise gewohnt waren.

Was tatsächlich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts passiert ist oder passieren hätte können ist, dass sich die Strukturen einer (mental) fragmentierten Welt aufgelöst haben. Isolierte Subjekte und Objekte gehören der Vergangenheit an. Jede Messung verändert das Gemessene, und jedes Sehen ist so etwas wie Messen. Nicht (nur) das Universum ist verschränkt, sondern wir sind mit dem, was wir sehen, verschränkt. Wer anders schaut, sieht anderes. Es gibt keine „objektive“ Welt. Wir sehen die Welt durch unsere Augen (banales Statement), was so viel heißt wie: Was wir „sehen“, hängt von unserem Weltbild ab. Daher müssen sich auch Physiker zuallererst die Frage gefallen lassen, welches Weltbild sie vertreten. Davon hängt nicht nur ihre Sicht der Welt, sondern auch die Interpretation wissenschaftlicher Ergebnisse ab. Das erklärt, warum auch Physiker völlig verschiedene Interpretationen liefern. Und genauso gilt das für Philosophen.

Was uns die Quantenphysik wirklich lehren könnte wäre, dass wenn sogar die Materie nicht mehr bloß materialistisch zu erklären ist, wir versuchen könnten, auch die Makrowelt durch andere Augen und eine anderen Logik zu sehen, als wir das gewohnheitsmäßig immer noch tun. Das würde unser Weltbild auf den Kopf stellen, obwohl Physik immer noch Physik wäre.

Über Robert Harsieber

Philosoph, Wissenschaftsjournalist, Verleger (RHVerlag), Mitarbeit an verschiedenen Projekten. Philosophische Praxis: Oft geht es darum, Menschen dabei zu helfen, ihr eigenes Weltbild zu erkunden. Interesse: Welt- und Menschenbilder, insbesondere die Frage eines zeitgemäßen Welt- und Menschenbildes.
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2 Antworten zu Über Quantenkurzschlüsse und ein wirklich zeitgemäßes Weltbild

  1. Sandra Matteotti schreibt:

    Alles in allem sind wir doch immer verschiedenen Wechselwirkungen ausgesetzt. Jede Wissenschaft versucht nun aber, die Ursache von allem zu finden, will alles auf etwas festmachen, ohne zu realisieren, dass in allem etwas steckt und alles im Einen.

    Wir haben einen Hintergrund (Zeit, Raum, Kultur, etc.) und sehen im Heute etwas. Alles, was hinter uns ist, spielt in dieses Sehen mit hinein. Aber: Das, was wir sehen, hat im Augenblick des Sehens auch einen Einfluss auf uns und es verändert uns ein wenig, indem auch es zum Hintergrund wird und beim nächsten Sehen mitspielen wird. So haben Menschen am gleichen Ort mit ähnlichem Hintergrund sonst immer gemeinsame Herangehensweisen an die Welt und deren Sichten, aber jeder bringt auch sein individuelles Ich mit. Dieses Ich wird gerne als eine Instanz im Inneren gesehen, eine, die selber entscheidet und frei von allem ist – mündig halt. Dagegen sprechen die Neurowissenschaftler, die sagen, es sei alles rein mechanisch, keine Eigenleistung und schon gar kein Individuum. Ich denke, es ist eine Mischung. Das Individuum gibt es sicher, es definiert sich aber vielleicht ein bisschen anders, als man das gerne hätte. Schwierig ist dann aber, wie man mit den Folgen eines so veränderten Individuum-Begriffs umeht. Und ich denke, da liegen auch Ängste begraben, wie es überhaupt weitergehen könnte in Systemen (Staaten, Gemeinschaften…)

    Ich glaube, ich bin abgeschweift, aber ich finde, ich bin doch noch dabei, denn: Objektiv und subjektiv sind zwei Seiten desselben. Und es gibt beide Seiten bei allem.

  2. Robert Harsieber schreibt:

    Danke für diesen Kommentar, Sandra. Nein, ich denke, du bist nicht abgeschweift.
    Es gibt zwei falsche Reaktionen zum Thema: 1. Alles Unverständliche mit dem Prädikat Quanten-irgendwas zu belegen, das ist ein PR-Geck ohne jeglichen Sinn. 2. Sich nicht über die Konsequenzen der Quantentheorie auf unsere Denkstruktur Gedanken zu machen.
    Die Mikrowelt ist mit unserer gewohnten Denkstruktur nicht zu verstehen. Seit der Quantentheorie ist endgültig klar geworden, dass Naturwissenschaft nicht die Natur untersucht, sondern unser Sehen der Natur. Wenn das gewohnt Sehen/Denken nicht ausreicht, die Mikrowelt zu verstehen, dann ist diese auch nicht in der Lage, die „Welt“ zu verstehen.
    Wir denken in unserer Sprachstruktur von Subjekt – Verb – Objekt. Das Subjekt gehört sozusagen der Psychologie, das Objekt der Physik/Naturwissenschaft. Das Verb vernachlässigen wir. Da sich eine (pseudo-)naturwissenschaftliche Sicht durchgesetzt hat, denken wir nur mehr „objektiv“. Das Subjekt ist nur mehr „subjektiv“, und damit kommt der Mensch in unserem Weltbild nicht mehr vor.
    In der Quantenmechanik kommt aber die „Welt“ nur durch Messung zustande. Auch Hinschauen ist Messung, und das Subjekt ist plötzlich wieder im Spiel. Jetzt ist das bloß „Objektive“ Illusion. Materie und Energie, Teilchen und Welle sind dasselbe. Unser Teilchenbild der Welt (Naturalismus, Materialismus) ist für unzureichend erklärt, und zwar durch die Physik. In der Mikrowelt ist ein Quantenphänomen entweder Teilchen oder Welle, je nachdem, wie man misst/hinschaut, und „dahinter“ ist „etwas“ (das kein Etwas ist), das etwas ganz anderes, nämlich sowohl als auch ist.
    Und jetzt kommt ein interessanter Gedanke: In der Mikrowelt gibt es keine Teilchen, nichts was wir uns bisher als Materie vorgestellt haben, sondern nur Beziehung (Hans-Peter Dürr). Plötzlich wird das Verb wichtig, und nicht mehr das isolierte Subjekt und Objekt. Das „Ich sehe etwas“ wird zum Prozess des Sehens. Nicht das isolierte Subjekt und Objekt, sondern das „Dazwischen“ ist das Entscheidende. Das ergäbe eine neue/erweiterte Denkstruktur, die auf das ganze Leben anwendbar wäre.

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