Homo sapiens oder Homo hetero?

Irland hat die Homo-Ehe anerkannt. Ist damit eine Bastion gefallen?

Es ist zum Glück bei uns (beinahe) so, dass der Staat seine eigenen Gesetze hat, die Religion ihre eigenen Gesetze hat, und – man möchte hinzufügen – auch die Kirche ihre eigenen Gesetze hat. Wenn also der Staat Gesetze erlässt, dann sind das seine Gesetze, die nicht unbedingt die Religion oder die Kirche tangieren müssen. Was die Kirche z. B. „Ehe“ nennt, muss nicht dasselbe sein wie das, was der Staat als „Ehe“ per Gesetz festlegt.

Das übersieht man leicht, weil derzeit über das Thema staatlicherseits wie kirchlicherseits diskutiert wird. Staatliche Gesetze werden von der Regierung und dem Parlament erlassen, und – je nachdem – auch von Volksabstimmungen abgesegnet. Kirchliche (katholische) Gesetze oder das Lehramt werden von der römischen Kurie bestimmt und hin und wieder auf Konzilen. Heute beginnt die Volksbefragung Einzug in den Vatikan zu halten, und das 2. Vatikanische Konzil war dermaßen demokratisch, wie es heute noch kein Staat ist. Die Dokumente wurden mit überwältigender Mehrheit angenommen, und trotzdem wurde auch die Meinung der Minderheit in den Text hineingenommen. Das hatte allerdings verheerende Folgen, weil diese Minderheit noch heute auf diese wenigen Stellen pocht und damit die Demokratie des Konzils unterminiert. Das wiederum fördert die Spaltung in „Konservative“ und „Progressive“, die das Konzil überwinden wollte. Was wir heute erleben oder erleiden, ist eine vorkonziliäre Diskussion.

Bewahren oder verändern?
Nun wurde in Irland die Homo-Ehe per Volksentscheid legitimiert. Die klerikale Welt in der Kurie und auf Facebook läuft Sturm. Dabei tangiert das die Kirche eigentlich gar nicht, sie anerkennt ja auch eine staatliche Hetero-Ehe nicht. Dabei könnte man es eigentlich belassen. Gäbe es nicht auch Tendenzen in der Kirche, Homosexuelle zu segnen. Aber erstens ist dieser Segen etwas anderes als das Sakrament der Ehe – und zweitens, wenn auch Tiere, Autos und Waffen gesegnet werden, warum dann nicht auch ein Liebesbund?

Wirklich interessant wird es dort, so man sagen muss, dass Kirche eigentlich auch mit Religion zu tun hat. Die Kirche hat im Laufe ihrer Geschichte Dogmen festgelegt, Gesetze erlassen (auch wenn das theologisch nicht ganz stimmt, es war meist eine Abgrenzung oder Ausgrenzung von „Irrlehren“). Was viele unterschlagen: Es gibt eine Dogmengeschichte, Dogmen sind nicht ein für alle Mal festgelegt, sondern müssen auch jeweils der Zeit entsprechend ausgelegt werden. Aber darum geht es jetzt nicht. Die Kirche muss sich an das Evangelium halten. Die katholische Kirche muss sich an das Evangelium und die Tradition halten. Und vergisst, dass sie damit Veränderung sogar festgeschrieben hat.

Bewahren und Verändern war ursprünglich eins, ist irgendwann auseinandergefallen, und an dem leidet die Kirche – trotz Konzil, das damit aufgeräumt hat – noch bis heute.

Die Ehe im Wandel der Zeit
Die Theologie akzeptiert längst, dass selbst die Bibel in der Sprache der Zeit geschrieben wurde. Daher wäre zu den heute diskutierten Themen Ehe, Familie, Sexualität auch der historische Faktor zu berücksichtigen. Ehe war damals nicht dasselbe wie heute. Sie war, und blieb das noch lange Zeit, eine ökonomische Veranstaltung. Die Liebensheirat kam erst 1000 Jahre später, vorbereitet durch die Minnesänger, die – nebenbei bemerkt – von den Sufis beeinflusst waren. Die Juden vor 2000 Jahren hatten eine eher entspannte Haltung zur Sexualität, es gab keinen Zölibat, im Gegenteil, ein Unverheirateter konnte gar nicht Rabbi werden. Also das genaue Gegenteil des Zölibats, und auch das lässt sich vernünftig begründen.

Im christlichen Europa wurden sehr lange Zeit Ländereien, Grundstücke, Gewerbebetriebe und nicht Menschen verheiratet. Selbst der Zölibat wurde nur deswegen verpflichtend eingeführt, um die kirchlichen Besitztümer nicht durch Vererbung zersplittern zu lassen. Paulus hat das noch als die bessere Variante hingestellt, ohne den Zölibat vorzuschreiben, was in der jüdischen Welt auch völlig absurd geklungen hätte.
Angesichts der Tatsache, dass in der griechischen Welt Homosexualität gang und gäbe war, hätte Jesus – wäre er der heutigen klerikalen Einstellung gefolgt – doch vehement dagegen auftreten müssen. Tat er aber anscheinend nicht. Das 6. Gebot betraf ja ausschließlich den Ehebruch, der damals mit Steinigung bestraft wurde. Auch dagegen hat Jesus nicht gewettert, wohl weil es dem Entwicklungsgrad der damaligen Zeit entsprochen hat. Er hat nur seine Barmherzigkeit dagegengestellt. „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“ Und nachdem er, etwas in den Sand schreibend gewartet hat, bis alle Ankläger verschwunden waren: „Auch ich verurteile dich nicht!“

Festgeschrieben im Sand
Diese Bibelstelle ist wirklich sehr interessant, was die heutigen Diskussionen betrifft. Sie zeigt, dass das 6. Gebot nicht die Lufthoheit über die anderen Gebote hat. In Alltagssprache: Ein Nadelstreifkommandeur, der seine Mitarbeiter mies behandelt und am Sonntag in der Kirche in der ersten Reihe sitzt, ist ein größeres Schwein – und kann ethisch einem liebenden Homosexuellen nicht das Wasser reichen.

Dann drückt die Stelle auch die Komplementarität zwischen Gesetz und Barmherzigkeit aus: Gesetze im biblischen Sinne sind dazu da, sich danach auszurichten (nicht sich stur daran zu halten, das wird keinem Menschen gelingen), und nicht dazu, jemanden zu verurteilen. Und über das Schreiben im Sand wird bis heute gerätselt. Es könnte aber durchaus bedeuten, dass die Auslegung der Gesetze so festgeschrieben ist wie das in Sand Geschriebene: Es ist wandelbar und muss stets neue nachgezogen werden. Nicht die Grundgesetze, nicht die innere Einstellung (Ethik), sondern die daraus abgeleiteten Verhaltensweisen (Moral).

Nimmt man die Tradition der Kirche, dann lässt sich vieles untermauern und widerlegen. Wie ja auch die Bibel selbst für beides verwendet oder missbraucht werden kann. In der orthodoxen Kirche ist z.B. die Ehe auch unauflöslich, aber der Mensch darf sich dreimal irren. Und die Orthodoxen behaupten, dass sie dem Ursprung näher sind als die Katholiken, was man ihnen schwer widerlegen kann. Wenn man von den beiden Lungenflügeln der Kirche spricht, dann wäre die östliche Kirche der mystische, die westliche Kirche der mehr intellektuelle Lungenflügel. Was das Selbstbewusstsein der römischen Kirche nicht gerade bestätigt.

Dass man die Ehe, die ursprünglich eine mehr ökonomische Veranstaltung war, derart zu einem Ideal hochstilisieren muss, das kein Mensch wirklich erfüllen kann, an dem viele zerbrechen, ist nicht ideal, sondern unmenschlich. Einem Mörder kann verziehen werden, er hat das Ideal eben nicht erreicht. Bei der Ehe ist das Nicht-Erreichen des Ideals zwar nicht verboten, aber das Erreichen einer erfüllenderen Beziehung in alle Zukunft verwehrt. Da haben wohl viele ein völlig falsches Gottesbild.

Pseudoreligiosität und Egozentrik
Das zeigt sich auch an den Petitionen an den Papst, die einem auf Facebook so aufdringlich unterschoben werden. Er möge doch nicht davon abweichen, was die Unterzeichner für „christlich“ halten. Das ist Egozentrik in Reinkultur. Das Konzil hat zwar das „Wir sind Kirche“ bestätigt, aber nicht als Lobbying für obskure Einzelgruppierungen verstanden, die dem Kirchenvolk inklusive Papst ihren Willen aufzwingen wollen.

Die Fundamentalisten beteuern immer, dass sich die Kirche nicht dem „Zeitgeist“ anpassen darf. Das heißt dann: Wir dürfen nichts infrage stellen, nichts zur Diskussion stellen, wir müssen beim (von ihnen interpretierten) Gesetz bleiben. Wer nur das Wort Barmherzigkeit in den Mund nimmt, ist schon „liberal“, wenn nicht gar „links“. Dass eben diese Gruppierungen sich bei genauerem Hinsehen als ziemlich rechtslastig erweisen, sei einmal dahingestellt.

Und das wirklich Wesentliche?
Weiters gibt es seit dem Konzil den Begriff der „Hierarchie der Wahrheiten“. Sprich: Es gibt zentrale Wahrheiten und eher sekundäre. Alles was heute diskutiert wird, fällt nicht unter die zentralen Wahrheiten, sondern lenkt nur davon ab. Solange die Kirche Kondome, Homosexuelle, Wiederverheiratete und den Zölibat aufs Podest rückt, werden diejenigen, die sich nach echter Spiritualität sehnen, wo anders suchen müssen.

Über Robert Harsieber

Philosoph, Wissenschaftsjournalist, Verleger (RHVerlag), Mitarbeit an verschiedenen Projekten. Philosophische Praxis: Oft geht es darum, Menschen dabei zu helfen, ihr eigenes Weltbild zu erkunden. Interesse: Welt- und Menschenbilder, insbesondere die Frage eines zeitgemäßen Welt- und Menschenbildes.
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2 Antworten zu Homo sapiens oder Homo hetero?

  1. Genau so ist das mit dem Unterschied zwischen den institutionalisierten Konfessionen und Religion/Spiritualität. Guter Beitrag wie immer.

  2. …wenn auch Tiere, Autos und Waffen gesegnet werden, warum dann nicht auch ein Liebesbund?…
    Die Frage ist zu stellen … Warum Wert legen auf einen solchen Segen? Absurd!
    Passt zu meinem Thema, das ich gerade eingestellt habe.

    Liebe Grüße
    Barbara Hauser

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