Vom reinen Licht und dunklen Schatten

DSCN2986Zeiten wie diese könnte man beschreiben als extreme Polarisation, Verdrängung und Projektion.

Die heutigen Diskussionen auf Facebook wie im realen Leben scheinen sich einerseits um das Thema Religion, Spiritualität bzw. Esoterik zu drehen, andererseits um Diabolisches und Weltkriegsszenarien. Es geht eben immer in der Geschichte um den Kampf des Guten gegen das Böse – von den Märchen und Sagen bis zu den guten alten Hollywood-Filmen. In der modernen Variante geht es wieder um die Weltherrschaft (James Bond, Rothschild, Illuminaten oder Bilderberger, ist ja eigentlich egal) und um den Kampf derer, die im Besitz der Wahrheit oder des Lichts sind, gegen die Welt des Bösen, gegen die Amerikaner, gegen Putin, Terroristen, Islamisten (ebenfalls wahlweise).

Dass genau von dieser Schwarz-Weiß-Malerei das wirklich „Böse“ in der Welt immer gelebt hat und lebt, kommt niemand in den Sinn. Man frage nur bei der Mafia nach, die ohne die Schwarz-Weiß-Malerei und das Projektionsbedürfnis der „normalen“ Menschen gar nicht denkbar wäre. Wer sich so von den „Weltherrschern“ manipuliert fühlt und – ach wie schlau – als einer der ganz wenigen aus dieser Manipulation entkommen ist, bemerkt gar nicht, wie sehr er von denen manipuliert wird, gegen die er kämpft – von Islamisten, Terroristen und Fanatikern aller Länder , Ideologien und Religionen. Fremdenhass und Anti-Islamismus ist genau das, was diese Verbrecher brauchen und damit (und mit Hilfe der Medien) erreichen.

1. Da wären die „Paradechristen“, jene die die Wahrheit gepachtet haben und alle anderen Religionen der Lüge bezichtigen. Denn „wir haben Jesus Christus“ und damit die Wahrheit. Dabei ist ihnen völlig entgangen, dass selbst die Jünger, die Jesus wirklich drei Jahre lang „gehabt“ haben, ihn nicht erkannten – außer in einzelnen Sternstunden, die ihnen eingegeben wurden. Entgangen ist ihnen auch, dass es nicht darum geht, die Bibel zu „haben“, sondern man sollte sich auch bemühen, sie zu verstehen. Der Buchstabe tötet, heißt es in der Bibel selbst – quasi als Warnung an die selbsternannten Wahrheitsbesitzer – nur der Geist macht lebendig. Es ginge darum, den Sinn zu verstehen, vor dem Hintergrund der damaligen Zeit und übersetzt in die Sprache der heutigen Zeit, sonst wird es mit dem Verstehen sehr schwer. Dies war die Intention des 2. Vatikanischen Konzils – das von diesen Wahrheitsbesitzern natürlich meist abgelehnt wird. Womit sie sich selbst über Kirche und Papst stellen, denn diese haben ja keine Ahnung. Dass Jesus selbst in den Pharisäern diese Haltung der Wahrheitsbesitzenden heftig bekämpft hat, ist diesen auch entgangen.

Noch paradoxer ist die Nähe der Wahrheitsbesitzer zum rechten Gedankengut und zu rechten Parteien. Was damit gerechtfertigt wird, dass diese Parteien auch gegen Abtreibung und für die Familie sind. Der implizite Rassismus wird da – anscheinend gerne – in Kauf genommen. In Wahrheit ist es die Ideologie der Ausgrenzung, die beiden gemeinsam ist, die Ausgrenzung Andersgläubiger und überhaupt aller Fremden. So trifft man die beiden Gruppierungen gemeinsam bei Antiabtreibungsdemonstrationen, aber auch bei Anti-Moschee und Anti-Minarett-Demonstrationen – wenn auch die meisten der Demonstranten in der Regel noch keinen Moslem aus der Nähe betrachtet haben. Es geht auch nicht um Menschen, sondern um Ideologien. Man ist ja im Besitz der Wahrheit. Und alle anderen sind sowieso des Teufels.

2. Das esoterische Pendant sind die „Lichtarbeiter“, die überall Licht und Liebe und das Heraufdämmern eines neuen Lichtzeitalters sehen. Auch diese Gruppe fühlt sich als geistige Elitetruppe gegenüber allen anderen, die keine Ahnung haben. Kein Wunder, dass sie in der Welt überall das Wirken des Bösen sehen, die Welt macht es ihnen heute und wie immer nicht allzu schwer. Da ist es dann nur logisch, dass Verschwörungstheorien hier gedeihen wie die Pilze nach einem Sommergewitter. Da sind ein paar einzelne Helden, die die Welt beherrschen oder die Weltherrschaft anstreben und einen Großteil der Menschen – von denen sie eigentlich abhängig wären, wen sollten sie sonst beherrschen? – ausrotten wollen. Da haben wir endlich mühsam begriffen, dass die Welt nicht schwarz-weiß ist, sondern überaus komplex, und schon wird wieder das alte Szenario bemüht, und Putin oder wahlweise die Amis zum Bösen stilisiert. Natürlich reden wieder genau die („und die wissen, wovon sie reden“ – nämlich von ihrer eigenen Meinung), die keine Ahnung von den komplexen politischen und historischen Situationen im Nahen Osten, Afghanistan oder in der Ukraine haben. Das Szenario nimmt sich aus wie ein Fußballstadion, in dem die einen zu dieser, die anderen zu jener Mannschaft halten, und was die 22 Akteure auf dem Spielfeld tatsächlich machen, interessiert gar nicht so sehr. Jedenfalls: Wer sich so hemmungslos dem Licht zurechnet, muss die Welt voller Bosheit, voller Verschwörung sehen. Verdrängung und Projektion nennt man das in der Psychologie.

Nun ist die Welt und das Ganze tatsächlich nicht rational zu begreifen (das wäre ein eigenes Thema). Aber wenn das nicht geht, dann verschreibt man sich wenigstens dem Irrationalen (was etwas völlig anderes ist). So liest man dann mit Entsetzen, dass die Weltverschwörung so weit geht, dass in Wirklichkeit schon der arme Hitler in den Krieg gedrängt wurde und die Gaskammern durch nichts in der Welt zu belegen sind. Weil uns doch die Medien und die Politiker nach Strich und Faden belogen haben und belügen. Da ist zwar durchaus etwas Wahres dran, aber die Lösung darin zu suchen, sich im Internet und Wikipedia zu „informieren“ (selektiv natürlich), ist dann doch etwas zu irrational.

Es gab Zeiten, als New Age noch eine universitäre Bewegung und Esoterik noch nicht diesen bitteren Beigeschmack hatte und Selbstverwirklichung noch nicht mit Ego-Verwirklichung verwechselt wurde, da gab es Menschen, die sich auch bemühten, sich selbst weiterzuentwickeln. Aber die wussten, dass man, um „hinaufzukommen“, zuerst „hinuntergehen“ muss. In Jung’scher Sprache heißt das, sich seinem eigenen Schatten zu stellen, und ihn nicht auf die äußere, politische Szenerie zu projizieren. Und wer den alten christlichen Taufritus betrachten, wird sehen, dass es darin genau um das geht. Der Täufling wird zur Gänze untergetaucht, das Ich stirbt, um in Christus wiederaufzuerstehen. Er/sie muss zuerst in die (eigene) Unterwelt, um dann erst im Licht leben zu können. Ebenso ist Christus nach seinem Kreuzestod zuerst hinabgestiegen in die Welt des Todes (früher sogar in die Hölle), um dann aufzuerstehen. Auf die Parallelen in den anderen Religionen darf an dieser Stelle auch hingewiesen werden.

Ein relativ einfaches aber klares Prinzip: Wer sich seiner eigenen Hölle nicht stellt, sondern sie auf die Mafia, die Weltherrschaft, die Amerikaner, Putin, die Islamisten und Terroristen projiziert, dem wird kein eingebildetes Licht helfen weiterzukommen.

Über Robert Harsieber

Philosoph, Wissenschaftsjournalist, Verleger (RHVerlag), Mitarbeit an verschiedenen Projekten. Philosophische Praxis: Oft geht es darum, Menschen dabei zu helfen, ihr eigenes Weltbild zu erkunden. Interesse: Welt- und Menschenbilder, insbesondere die Frage eines zeitgemäßen Welt- und Menschenbildes.
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2 Antworten zu Vom reinen Licht und dunklen Schatten

  1. SalvaVenia schreibt:

    Schön, mal wieder etwas von Ihnen zu lesen.

    Herzliche Grüße!

  2. Robert Harsieber schreibt:

    Danke und ebenfalls herzliche Grüße!

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