Auf ins Nirvana…

Nirvana – Auflösung ins Nichts. Da fühlen sich alle Nihilisten angesprochen. Zu Unrecht, Nirvana bedeutet nicht nichts.

Als in den Sechziger- und Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts die weltanschauliche Abwanderung der Jugendlichen nach Asien begann, war es zuerst eine Yogawelle – hatten doch sogar die Beatles einen Guru – und dann begann die Faszination für den Buddhismus.

Die „Religion ohne Gott“ war genau das Richtige für eine Generation, die sich in der Pubertät der Weltanschauung gegen einen Gott auflehnte, der ihnen von der Kirche allzu persönlich, allzu bildhaft, allzu vordergründig dargestellt wurde. Die Kleriker hatten gegen das Gebot „Du sollst dir kein Bild machen“ verstoßen und damit viele abgestoßen, für die es besser gewesen wäre, hätte der Urgrund etwas Geheimnisvolles bleiben können, die das Mystische suchten und im Osten zu finden glaubten.

Viele suchten Halt in einer Lehrer-Schüler Beziehung, die ihnen die Priester nicht (mehr) bieten konnten. Im Glauben an ein allzu vordergründiges Christentum erschüttert liefen viele jedem Inder nach, dessen Bart nur lang genug war. Es war auch die große Zeit der Scharlatane, auch Inder sind schließlich geschäftstüchtige Menschen. Und vereinzelt gelang es manchen, einen Lehrer zu finden.

Der Buddhismus kam in Form des Zen-Buddhismus einerseits und des tibetischen Buddhismus andererseits in den Westen – in einer völlig puristischen und einer „barocken“ Form, ein Gegensatz, der größer kaum sein kann. Im Zen ist alles reduziert auf das Sitzen vor einer grauen Wand, im Vajrajana erschafft man ganze Universen von Buddhas und Bodhisattvas, um sie wieder ins „Nichts“ aufzulösen.

Was aber ist dieses Nichts? Für viele Nihilisten die Hoffnung, dass einmal alles vorbei ist. Aber der Buddhismus ist sehr wohl eine Religion und das Nirvana nicht das schwarze Loch, in dem alles endet. Nirvana ist – genauso wie bei Meister Eckhart – nicht nichts, sondern nicht etwas. Es gilt, allem dinglichen Sein zu entkommen. Buddhismus ist eher psychologisch als philosophisch, ist jedenfalls reiner Pragmatismus. Es geht um nichts anderes als um das Wegkommen vom Ego. Das vollständige Auslöschen, aber das Auslöschen des Ego – und dann „bleibt“ eben nicht nichts. Das ist nicht das Ende des Lebens, sondern das Ende der Illusion.

Das ist – auch wenn ich mir damit den Unmut aller christlichen Wahrheitsbesitzer zuziehe – ein eminent christlicher Gedanke. Mit einem einzigen Unterschied: Eine Offenbarungsreligion „kennt“ das Ziel („Nicht ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ – Paulus), während der Buddha sich weigerte, über das Ziel zu sprechen. Nicht weil es keines gibt, sondern weil es sinnlos und unmöglich ist, darüber Aussagen zu  machen. Das „Ziel“ ist die radikale Offenheit, es geht weniger um das Ankommen als um das Loslassen.

Man könnte durchaus voneinander lernen (was sogar Josef Ratzinger/Benedikt XVI. anregt). Viele christliche Wahrheits-Besitzer glauben am Ziel zu sein, während sie tatsächlich noch nicht einmal losgelassen haben. Während Christus von sich sagte: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, glauben diese „Christen“, die Wahrheit gepachtet zu haben, ohne den Weg gehen zu wollen. Dass damit auch das Leben verloren geht und dieses „Christentum“ nicht allzu lebendig daherkommt, ist verständlich. Aber wirkliches Christentum ist auch anders.

Über Robert Harsieber

Philosoph, Wissenschaftsjournalist, Verleger (RHVerlag), Mitarbeit an verschiedenen Projekten. Philosophische Praxis: Oft geht es darum, Menschen dabei zu helfen, ihr eigenes Weltbild zu erkunden. Interesse: Welt- und Menschenbilder, insbesondere die Frage eines zeitgemäßen Welt- und Menschenbildes.
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2 Antworten zu Auf ins Nirvana…

  1. Es geht mir wirklich das Herz auf in Ihrem Blog zu lesen. Kompetent, weit, redlich. Vielen Dank ! Viele Grüße

    Astrid Schollenberger

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