„Das Konzil – ein Sprung vorwärts“

Helmut Krätzl, Zeitzeuge des Konzils, der mit seinem Buch „Im Sprung gehemmt“ die Zeit nach dem Konzil kritisch ins Visier genommen hat und damit Schwierigkeiten mit dem Vatikan bekam, legt zum 50-jährigen Jubiläum des Konzilsbeginns und zum Jahr des Glaubens neuerlich ein Resümee über dieses halbe Jahrhundert vor.

Wenn Papst Benedikt XVI. anlässlich der Eröffnung des Jahrs des Glaubens dazu animierte, auf das Konzil durch eine „Brille der Kontinuität und der Reform“ zu sehen, dann fürchtet der Autor, dass bei manchen das Glas der „Reform“ eher verklebt ist. Vieles in der Kirche mute heute nicht nur gebremst, sondern sogar rückläufig an. Aber gerade deswegen ist es notwendig, sich erneut auf das Konzil einzulassen.

Als Johannes XXIII. bald nach seiner überraschenden Wahl zum Papst ein Konzil ankündigte, erregte das „Verwunderung bis Schrecken“. Er selbst führte die Idee dazu auf einen „Strahl himmlischen Lichts“, auf eine „plötzliche Erleuchtung“ zurück. Der Papst wollte ein Reformkonzil mit dem Ziel, „dass die Kirche unter den bestmöglichen Bedingungen den Herausforderungen der Zeit begegnen kann“. Dagegen wehrte sich vor allem die römische Kurie, was dem Papst wohl bewusst war. Trotzdem legte er die Vorbereitungsarbeiten in die Hände von Kardinal Tardini. Zur gleichen Zeit jedoch übertrug er das neu gegründete Sekretariat für die Einheit der Christen dem Jesuiten Kardinal Augustin Bea, was so gar nicht im Sinne der Kurie war.

„Bewahrer“ und „Erneuerer“

Am Konzil wurden dann die meisten von der Kurie vorbereiteten Dokumente abgelehnt und mussten neu- oder umgeschrieben werden. Erstaunlich ist auch, dass Themen und Probleme, die am Konzil eine zentrale Rolle spielten, in der Vorbereitung kaum genannt wurden, wie Dialog, Religionsfreiheit oder die nichtchristlichen Religionen. Als besonders wichtig erwies sich die Stellungnahme des damaligen Erzbischofs von Mailand, Kardinal Giovanni Battista, der ebenfalls auf innere Reformen und eine geistige Erneuerung der Kirche hoffte. Er sollte als Papst Pius VI. das Konzil zu Ende führen.

Der Verlauf des Konzils zeigte dann, dass eine kämpferische konservative Minderheit – eben vor allem aus der Kurie – sich gegen Reformtexte wehrte und sich von den Päpsten Interventionen erbat. Das Ergebnis sind zum Teil mehrdeutige Texte. Trotzdem war es entscheidend, dass beide Päpste letztlich auf Seiten der weltoffenen Mehrheit standen. Es war immer auch ein Ringen Papst gegen Kurie. Heftig umkämpft waren die Themen „Kollegialität“ der Bischöfe, Ökumene und Religionsfreiheit.

Eine ganzheitliche Sicht des Konzils

Die nachkonziliäre Zeit hat dann gezeigt, dass die „Fronten“ dieselben geblieben sind. Durch die Zweideutigkeit mancher Texte können sich sowohl „Konservative“ als auch „Reformer“ auf das Konzil berufen, jeweils in der ihnen eigenen Einseitigkeit. Daher forderte Papst Benedikt XVI. 2005 eine „Hermeneutik der Reform unter Wahrung der Kontinuität“. Diese ganzheitliche Sicht ist aber für viele noch immer schwer oder gar nicht nachvollziehbar. Helmut Krätzl zeigt das am Beispiel der neuen Sicht von Kirche als „Volk Gottes“. Dieses Bild schließt an die ursprüngliche trinitarische Sicht der Kirche an, in der die Vielfalt vor einer rechtlich erzwungenen Uniformität steht, die erst seit dem 13. Jahrhundert überwog. Die einseitige hierarchische Struktur der Kirche wird damit fundamental zum Volk Gottes mit verschiedenen Charismen und Ämtern. Dabei zeigt sich, dass es hier nicht um „Modernismen“ geht, sondern dass das wirklich Neue gerade im Rückgriff auf die „alte Kirche“ liegt. Das ist wohl unter „Reform unter Wahrung der Kontinuität“ gemeint.

Was angenommen und weitergedacht werden müsste

Viele der Probleme, die nach dem Konzil aufbrachen (68-er Revolution, Säkularismus, Relativismus) wurden von Gegnern als Folge des Konzils missinterpretiert. Bei näherem Hinsehen ist es aber für Bischof Krätzl eher so, „dass nicht wenige schwerwiegende Probleme in der Kirche heute daher kommen, dass man in der vom Konzil gewiesenen Richtung nicht weitergegangen ist“. Daher sei es sinnvoll, nach nicht ausgeschöpften Potenzialen des Konzils zu fragen.

Da wäre zunächst die Kollegialität der Bischöfe mit dem Papst. Die Bischöfe sind gemeinsam mit dem Papst „gleichfalls Träger der höchsten und vollen Gewalt über die ganze Kirche“ (Lumen gentium 22). Das ist zwar revolutionär im Vergleich zum Bestehenden, war aber gelebte Wirklichkeit bis ins 17. Jahrhundert. Eine Aufwertung der Bischofssynoden wäre daher dringend erforderlich. Das alte synodale Prinzip wurde wiederentdeckt, aber noch nicht realisiert. Auch das Priestertum aller Getauften bedeutet ein Durchbrechen der Hierarchie, es führt zu einer neuen Gemeinsamkeit von Priestern und Laien, ist aber – weil es sich nicht um die Getauften einer Konfession handeln kann – auch ein gewichtiges Argument für die Ökumene.

Die Erneuerung der Liturgie wird oft nur unter dem Aspekt des Volksaltares und so mancher tatsächlich eingerissener Oberflächlichkeiten gesehen. Vergessen wird dabei, dass früher der Priester Eucharistie gefeiert hat und die Menschen unbeteiligt und eventuell Rosenkranzbetend im Kirchenschiff gesessen sind. Dass das gemeinsame und aktive Mitfeiern der Messe eine zentrale Errungenschaft des Konzils ist, ist heute gar nicht mehr bewusst. Erst das ermöglicht neue Formen der Liturgie.

Das Konzil brachte eine neue positive Sicht von Sexualität und Ehe. Auch das ist weitgehend unbekannt geblieben. Das Konzil spricht den Eheleuten die Eigenverantwortung über die Zahl der Kinder in ihrem Gewissen vor Gott zu und im Hinhören auf das Lehramt. Die Ehe wird nicht mehr nur unter dem rechtlichen Aspekt gesehen, sondern unter dem der gegenseitigen Liebe. Hier war das Konzil schon weiter als spätere Entwicklungen. (Allerdings wurde die Debatte über die verantwortete Elternschaft am Konzil abgebrochen und eine Kommission zur Weiterbehandlung eingesetzt.) Unter dem Aspekt der Verantwortung, so Krätzl, sollte auch das Gespräch vor allem mit der Jugend gesucht werden, um sie nicht zu verlieren und sie nicht alleine zu lassen.

Die Einheit der Christen war geradezu das oberste Motiv für das Konzil, daher ist Ökumene seither auch für die römische Kirche keine Kür, sondern unverzichtbare Pflicht, wie Kardinal Koch später formulierte. Die Rückkehr-Ökumene ist damit passé, Ökumene wird zum gemeinsamen Weg der Konfessionen. Was Krätzl hier kritisiert ist, dass in dieser Beziehung schon weit mehr passiert ist als die Kirche offiziell angenommen hat.

Das Zusammenwirken von Lehramt und Theologie, das am Konzil so wunderbar funktionierte, ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Theologen werden wieder am Forschen und Experimentieren gehindert.

Impulse für das Jahr des Glaubens

Es sollte Anlass dazu sein, die Texte des Konzils wieder oder ganz neu zu lesen. Vor allem ist ja das Evangelium wieder ins Zentrum des Glaubens gerückt, und das hat eine ganz persönliche, innerliche Beziehung zu Gott eröffnet. Dazu der Gedanke, dass Gott den Menschen braucht, um in der Welt zu wirken. Nur so kann der Mensch Salz der Erde und Licht der Welt werden.

Krätzl weist auch auf das Bilderverbot des Alten Testaments hin, das ja durch das Neue Testament nicht aufgehoben ist. Er warnt damit vor allzu naiven Gottesvorstellungen, die das Gespräch mit Anders- und Nichtglaubenden verhindern. Gott ist immer noch unfassbar, ganz anders und viel, viel mehr.

Vielleicht der wichtigste Aspekt für eine zukünftige Theologie ist der Begriff des Gewissens. „Das Gewissen ist die verborgene Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist.“ (Gaudium et spes 16). Dieser Text steht nicht von ungefähr zwischen den Themen „Vernunft“ und „Freiheit“. Auch Joseph Ratzinger kommentiert das Gewissen als höchste und letzte Instanz, „die dem Anspruch der äußeren Gemeinschaften, auch der amtlichen Kirche, letztlich entzogen ist…“ In diesem Horizont, so Krätzl, sei auch die „verantwortete Elternschaft“ oder der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen weiterzudenken. Grundsätzlich seien die Menschen „zu einer ganz persönlichen Verantwortung für ihr Leben herauszufordern“. Das sollte bereits bei der Jugend beginnen, die zur Kritikfähigkeit zu erziehen sei. Die Gläubigen sollten zu mündigen Christen werden.

Noch einmal: die Zeichen der Zeit erkennen

Das Konzil bekräftigt, dass der geschärfte kritische Sinn das religiöse Leben von einem magischen Weltverständnis befreit. Andererseits würde die Preisgabe des ganz Anderen, des Mystischen, das Religiöse verflachen. Nicht umsonst laufen im Zeichen der Aufklärung viele Menschen völlig unkritisch irgendwelchen Sekten nach. Viele wenden sich heute von der Kirche ab, gleichzeitig wächst die Zahl derer, die die Grundfragen des Lebens stellen. Um mit diesen im Gespräch zu bleiben, genügt für Bischof Krätzl das Glaubenswissen aus dem Weltkatechismus nicht. „Viel eher wird gefragt, was die Botschaft des Glaubens dem Leben gibt, ob sie es stützt, fördert oder gar erfüllter macht.“

Helmut Krätzl: „Das Konzil – ein Sprung vorwärts. Ein Zeitzeuge zieht Bilanz“, Tyrolia Verlag, 2012. ISBN 978-3-7022-3199-6

Über Robert Harsieber

Philosoph, Wissenschaftsjournalist, Verleger (RHVerlag), Mitarbeit an verschiedenen Projekten. Philosophische Praxis: Oft geht es darum, Menschen dabei zu helfen, ihr eigenes Weltbild zu erkunden. Interesse: Welt- und Menschenbilder, insbesondere die Frage eines zeitgemäßen Welt- und Menschenbildes.
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