Ökumene als gemeinsamer Weg zur Einheit

Einheit trotz legitimer Vielfalt. Kardinal Walter Kaspers Buch über „Wege zur Einheit der Christen“.

Die Ökumene, das Ringen um die Einheit, bezeichnet Kardinal Walter Kasper als die große Errungenschaft des sonst so dunklen 20. Jahrhunderts. Sie hat eine Vorgeschichte, die katholische Kirche stand ihr lange Zeit reserviert, ja ablehnend gegenüber, aber sie war das Leitmotiv des 2. Vatikanischen Konzils. Und zum Leidwesen mancher „konservativer“ Christen wurde sie von Papst Johannes Paul II. als unumkehrbar bezeichnet. Das Konzil hat erstmals den Absolutheitsanspruch der Römischen Kirche aufgebrochen und anerkannt, dass es auch Heil außerhalb der Kirche, ja sogar Kirche außerhalb der Kirche geben kann und gibt. „Der Heilige Geist ist keinesfalls an den Dienstweg gebunden.“ Es kann nicht nur Elemente der Kirche auch außerhalb der Kirche geben, es können manche solcher Elemente außerhalb der Kirche sogar deutlicher verwirklicht sein als innerhalb der katholischen Kirche.

Ökumene heißt nicht, den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen den Konfessionen zu finden, sondern Ökumene ist der Weg zur Einheit der Kirche. Damit ist jedoch nicht die Einheitlichkeit der Kirche angestrebt, sondern Einheit in der Vielfalt. Es geht heute auch nicht mehr darum, die Verschiedenheiten der Konfessionen anzuprangern (auch wenn sie nicht unter den Tisch gekehrt werde dürfen), sondern die Gemeinsamkeiten hervorzuheben. Das gemeinsame Fundament steht eindeutig im Vordergrund, die Verschiedenheit der Ausformungen darf und muss gewahrt bleiben. Vielfalt und einen legitimen Pluralismus kann und muss es in der Kirche geben.

Gemeinsamer Weg zur Einheit

Auch für die katholische Kirche geht es heute nicht mehr um die Rückkehr der Konfessionen in den Schoß der katholischen Kirche, sondern um einen gemeinsamen Weg zur Einheit. Das 2. Vatikanische Konzil hat diesen Heimkehr-Ökumenismus, der ja gar keiner ist, in eine Ökumene der gemeinsamen Rückkehr zu Jesus Christus ersetzt. Niemand ist im Letztbesitz der Wahrheit. „Die Wahrheit lässt sich nicht einfach in Sätze verpacken. Die Wahrheit ist etwas Lebendiges.“ Für Kardinal Kasper können sich die verschiedenen Bekenntnisse gegenseitig korrigieren und integrieren und zum Aufbau des Ganzen beitragen. „Die Einheit des Glaubens braucht deshalb auch gar nicht darin zu bestehen, dass alle das Gleiche sagen, wohl aber darin, dass alle das im Letzten Gleiche meinen, wenn auch von verschiedenen Seiten her, unter verschiedenen Formulierungen, die einander unter Umständen auf der Ebene der Formulierungen sogar widersprechen können…“ Sie resultieren ja aus unterschiedlichen Denkformen, unterschiedlichen Kulturen und unterschiedlichen historischen Umständen. Im Hinblick auf das Ganze des Evangeliums und der Einheit der Kirche wurde der Dialog innerhalb der Kirche verzerrt zu einem Dialog zwischen Kirchen. Entsprechend stehen für Kardinal Kasper nicht die ökumenischen Dokumente im Vordergrund, so wichtig sie auch sind, sondern die neu entdeckte Brüderlichkeit der Konfessionen.

Unterscheidung zwischen Römisch und Katholisch

Entscheidend ist das Bekenntnis, dass auch in der katholischen Kirche die Einheit „nur in geschichtlicher Defizienz“ gegeben ist, weil sie „nicht genügend Raum gewährt für eine notwendige, seinsollende Vielfalt“. Außerdem wäre laut Kardinal Kasper viel deutlicher zu unterscheiden zwischen römischer Ortskirche, abendländischer Patriarchatskirche und katholischer Universalkirche. „Katholisch“ heißt ja ursprünglich „universal“ und wurde erst später zur Konfessionsbezeichnung. Kardinal Kasper hebt hervor, dass viele Funktionen, die der Papst (und die römische Kurie) wahrnimmt, „ihm nicht als Inhaber des Petrusamtes, sondern als abendländischem Patriarchen oder auch nur als Bischof von Rom“ zukommen. Eine Weiterführung dieses Gedankens könnte in Zukunft viele Probleme aus dem Weg räumen.

Was auch viel zu wenig betont wird, aber Kardinal Kasper dennoch sagt: Die „innere Einheit im einen Herrn und im einen Geist ist eine Wirklichkeit“, daher kann man gar nicht von einer Wiedervereinigung sprechen. „Die Einheit ist etwas der Kirche Vorgegebenes und etwas alle Teile Übergreifendes.“ Ökumene muss diese Dynamik auf das Ganze charakterisieren. Damit geht es um eine neue Form von Katholizität, die nur ökumenisch verwirklicht werden kann. Die eine Kirche kann und soll durchaus verschiedene Typen von Kirche mit unterschiedlichen Strukturen, verschiedenen Gemeinschaftsformen und verschiedenen Theologien umfassen. Für diese Einheit in der Vielheit ist auch die katholische Kirche offen.

Geistige Osterweiterung und die Einheit Europas

Es ist hier nicht der Platz, allen theologischen Argumenten, die das Buch verfolgt, nachzugehen, obwohl diese hochinteressant sind. Nur die letzten zwei Kapitel seien noch erwähnt: Das über Paulus und das über Europa. Letzteres ist weder geografisch noch ethnisch festzumachen, sondern einzig und allein durch die einende Kraft des Christentums. (Die monotheistischen Religionen sind ja nicht Ursache von Kriegen, sondern von Einheit. Nur wo nicht anerkannt wird, dass JHWH, Gott und Allah einer einzigen Wirklichkeit entsprechen – von der Juden, Christen und Moslems je verschiedene Vorstellungen haben können – dort haben wir es nicht mit dem kriegerischen Potenzial des Monotheismus zu tun, sondern mit einem Rückfall in den Polytheismus.)

Wer den geistigen Reichtum der orthodoxen Ostkirchen bedenkt, muss bedauern, dass die erste Kirchenspaltung den Westen geistig verarmen ließ, was letztlich auch Ursache für die Reformation und damit die nächste Spaltung war. Europa braucht also eine „geistige und geistliche Osterweiterung“. Ohne Christentum wäre Europa nie das geworden, was es heute ist, das Christentum gehört zur europäischen Identität. Aber was soll heute ein gespaltenes Christentum zu dieser Identität beitragen? Auch von diesem Aspekt her ist Ökumene eine Notwendigkeit.

Pluralistischen Globalkultur des Paulus

Die von Kardinal Kasper angesprochene Unterscheidung von Papst, Patriarchat und Bischof von Rom führt direkt zum Kapitel über Paulus. Er hat Europa christianisiert, und er war als Jude und mit der griechischen Kultur bestens vertrauter römischer Staatsbürger dazu prädestiniert. Und er sah sich durch seine unmittelbare Christuserfahrung als Apostel. In ihm vereinigten sich Glaube und Vernunft, ein Thema, das sich bis heute durchgehalten hat. Wenn das 2. Vatikanum eine Öffnung zu den anderen Konfessionen und anderen Religionen eröffnet hat, dann ist das nicht nur eine Anforderung der Moderne, sondern führt direkt zu Paulus zurück, der ein Vertreter einer pluralistischen Globalkultur war. Kasper bezeichnet ihn als den ersten Europäer.

Auch die für viele so anrüchige „Hierarchie der Wahrheiten“ des 2. Vatikanums ist kein moderner Relativismus, sondern führt ebenfalls direkt zu Paulus zurück. Zentrum des Glaubens war für Paulus eben Jesus Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene – und die neue Schöpfung und der neue Mensch, die daraus hervorgehen. Das und nichts anderes ist das Eigentümliche der „neuen“ Religion. (Alles andere ist sekundär, denkt man sich unwillkürlich dazu). In Paulus ist aber auch die Säkularisierung angelegt. Paulus tritt damit gegen den Kaiserkult an. „Er hat die Welt entmythologisiert und entdivinisiert und Gott und die Welt unterschieden und zugleich die Welt frei und neu gemacht.“ Paulus hat die antike Welt von Gott her aus den Angeln gehoben. Heute versucht diese säkularisierte Welt, das Christentum aus den Angeln zu heben. Wenn Paulus der Vergöttlichung des Menschen ein Ende gesetzt hat, dann kehrt die heutige Säkularisation wieder hinter Paulus zurück.

Widerspruch und Gemeinschaft

Schon Paulus musste gegen Spaltungen, Parteiungen und Streit in den Ortskirchen kämpfen. Doch immer ist die Kirche für ihn eine einzige. Er kennt kein eigenes Christentum, das er etwa dem des Petrus entgegengesetzt hätte. Er anerkennt den Vorrang des Petrus, auch wenn er ihm mündig in offenem Widerspruch gegenübertritt – und dann wieder zur Gemeinschaft zurückfindet. (Ein Modell, das heute sehr nützlich wäre!).

Wenn Ökumene Zukunft haben soll, dann ist auch das bisher größte Hindernis, das Papsttum, neu zu überdenken. Tatsächlich hat auch Papst Johannes Paul II. schon 1995 in der Ökumene-Enzyklika „Ut unum sint“ angeregt, nach einer neuen Form der Ausübung des Primats zu suchen. Papst Benedikt XVI. hat diese Anregung 2006 in Konstantinopel wörtlich wiederholt und schon als Joseph Ratzinger zwischen der geistlichen Funktion des Primats und  der administrativen Funktion des Patriarchen unterschieden. Und letztlich ist Ökumene eine geistige und geistliche Aufgabe.

Walter Kasper: Wege zur Einheit der Christen, Walter Kasper Gesammelte Werke, Band 14, Schriften zur Ökumene I, Verlag Herder 2012, 700 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-451-30614-3

Über Robert Harsieber

Philosoph, Wissenschaftsjournalist, Verleger (RHVerlag), Mitarbeit an verschiedenen Projekten. Philosophische Praxis: Oft geht es darum, Menschen dabei zu helfen, ihr eigenes Weltbild zu erkunden. Interesse: Welt- und Menschenbilder, insbesondere die Frage eines zeitgemäßen Welt- und Menschenbildes.
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